Jonah
Die Worte wollten immer noch nicht in meinen verdammten Kopf und ich war kurz davor, die Seite ein viertes Mal zu lesen, nur um mich nicht von ihr besiegen zu lassen, indem ich sie unverstanden ließ, als sich Schritte näherten und sich jemand neben mich stellte. Ich riss etwas zu abrupt den Kopf hoch, als das es elegant hätte aussehen können und blickte in grüne Augen. Von Nahem betrachtet waren nicht nur ihre Haare wunderschön, eigentlich hatte sie etwas ganz allgemein wunderschönes an sich... Ach verdammt! Ich verdrängte das romantische Gesülze aus meinem Kopf und schluckte einmal kurz.
"Hier. Lesen Sie das... vielleicht ist es besser", riet sie mir in einem neutralen Tonfall, als wäre ich auch einer ihrer Studenten. Ich sah auf den Umschlag. Von dem Autor hatte ich schon gehört. Er hatte eine Menge positives Feedback in einer Abhandlung über Schriftsteller des 19. Jahrhunderts bekommen. Ich hatte ihn schon wieder vergessen.
Die Frau entfernte sich wieder und ich war wirklich kurz davor sie zurück zu rufen, als sie von selber stehen blieb und sich nochmal halb umwandte, um mir über ihre Schulter noch einen Tip zu geben.
"Wissen Sie....ich rate Ihnen davon ab, immerwieder die gleiche Seite zu lesen...glauben sie mir. Als ich noch eine Referandarin war, hatte ich es auch mal damit versucht, Sachen, die mich nicht interessierten, erneut zu lesen...aber es hat mir nichts gebracht....", erklärte sie und lächelte sogar. Ich dachte einen Moment darüber nach und kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich, naja eigentlich, sicherlich recht hatte. Man sollte ein Buch nicht besiegen, sondern es genießen. Was für ein schöner Grundsatz...
"Ich hoffe meine beiden Holzköpfe haben ihre Ruhe nicht gestört! Schönen Tag noch!", fügte sie noch hinzu, ehe sie sich endgültig zum gehen umwandte. Ich stand einen Moment perplex da, wie ein Idiot in einer romantischen Hollywood-Komödie, dem gerade seine Traumfrau über den Weg gelaufen ist, und starrte ihr hinterher, ehe ich ein paar Meter lief und ihr hinterherrief: "Keine Angst, haben sie nicht. Ihnen auch einen schönen Tag und danke für das Buch!"
Ich wünschte ich hätte noch mehr gesagt, aber mir fiel nichts ein. Ein paar Sekunden lang, stand ich da, lehnte mich an eine Säule und starrte das Buch an, das sie mir gegeben hatte, als mir plötzlich etwas auffiel, dass auf meiner Schulter glitzerte. Ich drehte den Kopf zur Seite und entfernte es mit Daumen und Zeigefinger. "Ein Haar!", stellte ich leise fest. Und aus lauter Sentimentalität warf ich es nicht mal weg, sondern ließ es in meine Jackentasche gleiten, ehe ich mich auf den Weg zum Ausgang machte, wobei ich die merkwürdige Hoffnung hatte, dass sie noch da war.